Stefans Abenteuer im Land der fehlenden Berge und in der Physik
Über mich
StefanIch bin seit Juni 2007 Doktorand an der TU Delft, Niederlande. Neben (theoretischer) Physik interessiere ich mich für Politik, Bücher aller Art und Radfahren. Für weiteres, siehe meine Homepage.

Donnerstag, 20. Dezember 2012

365 Tage

Vor genau einem Jahr bin ich der Uni entkommen -- nochmals danke, liebe "Madam Beadle", dass Du rechtzeitig "Hora est" gesagt hast, bevor meine Prüfer die wirklich harten Fragen auspackten. Nun ja, ein Jahr und kein Post hier. Um das wieder halbwegs gut zu machen, hier das letzte Jahr in alphabetischer Reihenfolge:
  • Autoverkehr - Ist in München wesentlich schlimmer als in Holland. Daher erste Aktion dieses Jahr: einen Fahrradhelm kaufen und auch beim alltäglichen Radeln aufsetzten
  • Bodensee -- nicht mehr in beinahe unerreichbarer Ferne liegendes voralpines Gewässer.
  • "Committen" und "Changes" -- zwei neue Vokabeln in meinem Wortschatz. Und im Gegenteil zu Managern, wir committen uns nicht für Ziele, sondern wir Softwaretyppies committen Codeänderungen ins Repository. Alles klar?
  • Donde estes estacion? - Den wichtigsten Satz, den ich auf meinem Interrailtrip durch Spanien gebraucht habe. Und gleichzeitig (mit Ausnahme von "hola") auch mein kompletter spanischer Wortschatz. Und das, obwohl ich fast drei Jahre lang spanische -- au, sorry, ich mein natürlich spanische Staatsbürger katalanischer bzw. galizischer Muttersprache -- Mitbewohner hatte.
  • Essen: Die Kantine bei einem unserer Kunden (kleiner Tipp: dreibuchstabiger Münchner Automobilbauer) schlägt in jeder Hinsicht die der TU. Leider gilt das auch für den Preis und den Andrang.
  •  First Annual International Nerd Conference, Munich 2012: Das Konferenzhotel war meine Wohnung, die internationalen Gäste kamen aus Delft. 
  • Geographie: Ich weiß jetzt (fast) immer, wo mein Chef ist. Geographische Unsicherheiten wie "Ist er gerade in Japan?" -- "Ne, also ich glaube er ist diese Woche auf ner Konferenz auf Spitzbergen" gibt es zum Glück nicht mehr. 
  • Hora est -- für mich war's das genau vor einem Jahr. Inzwischen haben auch Gio, Chris, Alina und Fateme M. diese erlösenenden Worte gehört. Die theory group, so wie ich sie kannte und ein Teil von ihr war, gibt es jetzt nicht mehr.
  • Isarauen und Akash's verzweifelter Versuch, dort "the beach with the beautiful girls" zu finden.
  • Junior Solutions Engineer -- so hieß es ursprünglich mal auf meiner Stellenausschreibung. Inzwischen würd ich einfach sagen "Softwareentwickler".
  • Koornmarkt 46 - da wohn' ich nicht mehr, dafür jetzt in Schwabing. Auch nett, auch wenn es hier wesentlich weniger Kanäle gibt.
  • London: Als ich nach Delft zog, dachte ich "klasse, London liegt quasi um die Ecke. Da kann ich mal für ein Wochenende hin". Leider mußte ich erst wieder aus Holland wegziehen um es mal wieder nach London zu schaffen.
  • München: Mag ich immer mehr, auch wenn es dort an Samstagen viel zu viele freilaufende Bayern-Fans gibt.
  • Nordsee: Als ich noch zehn Kilometer von ihr entfernt wohnte, zog es mich dort maximal einmal im Jahr hin. Jetzt ist es bei jedem Besuch in Delft eine Pflichtstation. Egal wie schlecht das Wetter ist.
  • Olympiabad -- Schwimmen, wo einst Mark Spitz (der Phelps vor Phelps) Goldmedaillen am laufenden Band einsammelte.
  • Paper: War da was?
  • Quantenmechanik: Früher mein täglich Brot, inzwischen eine nette Erinnerung an vergangene Tage.
  • Rotterdamer Bahnhof: Vier Jahre lang war der Rotterdamer Bahnhof eine Baustelle, auf der sich augenscheinlich nichts tat. Und jetzt ist man mal drei Monate lang nicht dort, und ein beinahe fertig gebauter Superbahnhof erwartet einen dort.
  • Superkräfte: Ohne Doktor bildet man sich ein, mit einem selbigen kämen irgendwelche Superkräfte. Stimmt nicht -- ich gehe immer noch im Bodensee schwimmen anstatt auf selbigem wandern.
  • Tübingen: Nettes Städtchen und zufälligerweise Hauptsitz meines Arbeitgebers.
  • Uni vermisse ich als solche überhaupt nicht. Gleiches gilt für meinen Doktorvater.
  • Vienna: Ist nicht nur eine Stadt, sondern auch unsere niederländische Sekretärin -- irgendwie scheinen mich Holländer bis nach München zu verfolgen!
  • Weiterbildungen hatte ich ein paar dieses Jahr -- neben diversen Softwaregeschichten zu so "BWLigen" Themen wie Projektmanagement und IT-Management. 
  • arXiv ist tot, lang lebe Slashdot!
  • Yttrium - was anderes ist mir zu Y nicht eingefallen.
  • Zugverbindungen: Komischerweise waren meine Zugverbindungen nach Delft und zurück im letzten Jahr immer unverspätet -- als Doktorand betrachtete ich eine Stunde Verspätung noch als pünktlich.
Hm, es hat sich also einiges getan, auch wenn das Jahr wie im Fluge vergangen ist.

Dienstag, 20. Dezember 2011

Hora est

Hora est. Time's up. De tijd is verstrecken. Fertig. Aus.

Seit 11 Uhr bin ich Doktor -- denn da kam die freundliche Pedel (Protokollarbeamtin der Uni) mit ihrem Zeremonialstab in den Raum, rammte ihn ein paar mal auf den Boden und es war "Hora est". Und die Prüfung war rum und fünfzehn Minuten später kam meine Prüfungskomission mit meiner Doktorurkunde zurück. Da ich noch immer unter einem ziemlichen Adrenalinrausch stehe (Doktorprüfungen geben anscheinend einen besseren Kick als alles andere,was ich kenne) und daher die Gefahr besteht Sachen zu schreiben, die ich ganz bei Sinnen nie schreiben würde, mach ich jetzt hier Schluss.

P.S.: Bitte sprecht mich in Zukunft ja nicht mit Dr. Bretzel an. Ich bin, war und werde immer der Stefan bleiben.

P.P.S: Heute Abend schmeiss ich für meine Kollegen und Freunde ne Party in Delft. Die Tradition will es, dass sie einen Beitrag (meistens Quiz) vorbereiten, in dem ich ordentlich durch den Kakao gezogen werde. Bin schon gespannt darauf.

Freitag, 3. Juni 2011

Seit vier Jahren im Flachland (al vier jaar leef ik in het Nederland)

Am 28. Mai hatte ich meinen vierten In-die-Niederlande-ziehen-Jahrestag. Dazu ein paar Dinge, die ich in den letzten vier Jahren hier gelernt habe:
  1. Für mein seelisches Wohlbefinden sind die Sicht auf Hügel, von Bergen will ich ja gar nicht erst sprechen, unverzichtbar. Leider sind diese hier nahezu unbekannte geographische Objekte. Gut, eigentlich hätte ich ja gewarnt sein können, denn die Niederlande sind ja nicht gerade bekannt für ihre Bergketten (oder hat schon mal jemand vom Utrechter Zentralmassiv gehört?).

  2. Gutes Brot in den Niederlanden zu finden ist ein Ding der Unmöglichkeit. Das ist, so habe ich es in den letzten Jahren gelernt, ein typisches Statement eines deutschen Expat. Nichts geht über gutes Brot und sachdienliche Hinweise, wo man eben solches finden könnte, werden in den entsprechenden Kreisen hoch gehandelt.

  3. Nederlandse Appeltaart met Slagroom ist einfach die definitive Version von Apfelkuchen. Sorry, Mama.

  4. Nichts macht einen mehr seine ethnische Herkunft bewusst als in einer Umgebung zu leben, in der fast niemand diese mit Dir teilt. Beispiel gefällig? In Deutschland war es nie ein Thema, dass ich kein Bier trinke. Hier werde ich oft mit den Worten "this is Stefan from Germany. And guess what, he doesn't drink beer" vorgestellt. Dass man als Deutscher kein Bier mag, scheint bei den meisten Leuten eine kognitive Dissonanz allererster Güte auszulösen.

  5. Kellner in belgischen Bierkneipen nehmen es einem nicht übel, wenn man immer nur Cola bestellt.

  6. In der indonesischen Küche gibt es nur drei Schärfegrade: Verdammt scharf, kriminell scharf und durch die UNO Chemiewaffenkonvention verboten scharf (für praktische Demonstrationen zu diesem Thema geht dank an Tungky).

  7. Die Niederländer sind geiziger als Schwaben und stolz darauf. Manche gehen sogar so weit zu behaupten, dass sie selbst mit ihrem Date die Rechnung auf den Cent genau aufteilen würden. Angeblich ist der Ausdruck "going Dutch" (getrennt bezahlen) in den USA gang und gäbe -- so geläufig, dass alle Amerikaner, die nicht in den Niederlanden leben, diesen Ausdruck nicht kennen (oder so zumindestens meine praktischen Feldforschungen).

  8. Die Niederländer haben die deutschen Untaten im zweiten Weltkrieg schon lange verziehen -- ausser, dass die Deutschen ihre Fahrräder geklaut haben. "Waar is mijn fiets?" oder "Ik wil mijn fiets terug" bzw. Anspielungen darauf habe ich genug gehört (dank geht hiefür an meinen ewigen Büromitbewohner Marnix).

  9. Deutsche Unimensen sind viel besser als man als Student immer dachte. Denn alle zwei Wochen Kässpätzle für 2 Euro 50 ist nichts im Vergleich zu täglich die gleiche Frikadelle für drei Euro. Daher bin ich in den letzten Jahren zum Vesperbrotmitbringer mutiert.

  10. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, lange Distanzen mit der Bahn zu fahren und mit maximal einer Stunde Verspätung anzukommen.

  11. Auch in den Niederlanden gibt es einen Bible Belt -- dort wohnen die Leute, deren Vorfahren vor dreihundert Jahren das Schiff nach Pennsylvania verpasst haben.

  12. Das Englischniveau eines durchschnittlichen Deutschen im Vergleich zum durchschnittlichen Nederlander: Abgrundtief schlecht (daher: It's a long way -- start walking).

  13. Die Geldkarte (dieser Chip auf der Bankkarte, der in Deutschland von niemandem benutzt wird) kann man tatsächlich für Bezahlungen benutzen.

  14. Durchschnittlich wird einem 0.25 Fahrräder pro Jahr geklaut (so zumindestens das Ergebnis meines langjährigen Selbstversuchs -- seit zwei Wochen bin ich Fussgänger)

  15. Je mehr Sprecher eine Sprache hat, desto grösser die Paranoia derselben, dass Englisch in allernächster Zukunft ihre Sprache verdrängen wird.

  16. Der Geburtstag der Monarchin wird nicht an ihrem Geburtstag gefeiert.

  17. In den Niederlanden sieht man keine Wohnwägen mit niederländischen Kennzeichen -- im Gegensatz zum Rest von Europa.

  18. Technische Universitäten sind nicht gerade für ihr ausgewogenes Geschlechterverhältnis und lebendiges Kulturleben bekannt.

  19. Und zu guter Letzt: Ich hätte die Uni verlassen sollen, so lange es mir noch Spass machte.